Es ist ein frühwinterlicher Sonntag auf dem Scheitel des Julier-Passes kurz vor Mittag. Ich blicke hinunter in die hoch gelegenen Täler des Oberengadin. Der Himmel ist grau bewölkt; kein Sonnenstrahl weit und breit. Alpwiesen und Arvenwälder sind frisch verschneit, die Bergspitzen strahlen in einem fahlen Weiss, unterbrochen vom tiefschwarz des nassem Felsgesteins.
Immerhin ist die Zufahrt heute ins Oberengadin schneefrei, die Fahrt über den Pass so möglich. Gestern noch war diese wichtige Verbindungsstrasse schneebedeckt so wie alle Verkehrswege im Oberengadin und erzwang einen eintägigen Aufschub. Mit einer Scheitelhöhe von 2 284 m ü. M. verbindet der Julierpass die Täler Oberhalbstein und Engadin. Hier auf der Passhöhe verläuft auch die Wasserscheide zwischen den Einzugsgebieten von Rhein und Donau.
Nach einigen Minuten Fahrt die Passstrasse abwärts weitet sich der Blick: Das Blau der Oberengadiner Seen und die beiden Dörfer Silvaplana und Surley hellen das düstere Bild auf. Ich fahre am Lej da Champfer und am St. Moritzersee entlang zum Zielort Samedan. Der Ort liegt am Rand einer Hochebene am Fluss Inn. Zwischen Wasser und Strasse liegt Europas höchstgelegener Flugplatz für die zivile Luftfahrt. In den Wintermonaten fliegen die Reichen und Schönen mit bis zu zweihundert Maschinen täglich den Airport an und lassen sich ins mondäne St. Moritz chauffieren. Mein Ziel aber ist das familiäre Hotel Donatz; hier werde ich während der kommenden Wanderwoche meinen Stützpunkt haben.
Der frühe erste Schnee hat zur Folge, dass die Bergwanderwege hoch zu Hütten und Aussichtspunkten mit Schnee bedeckt und vereist sind. Einleuchtend, dass das Wanderprogramm auf tiefere Lagen angepasst werden muss. So steige ich zum ersten mal seit Jahrzehnten wieder zum idyllisch gelegenen Hahnensee hoch und wandere den Hängen entlang abwärts zum Lej da Staz, dem bekanntesten Oberengadiner Badesee und einer meiner Lieblings-Foto-Spots.
«Bernina Express» – Strecke mit globaler Ausstrahlung.
Die Berninalinie ist eine eingleisige meterspurige Eisenbahnstrecke der Rhätischen Bahn und war bis zum Zweiten Weltkrieg eine eigenständige Bahngesellschaft. Die Gebirgsbahn verbindet den Ort St. Moritz im Oberengadin über den Bernina-Pass mit der italienischen Stadt Tirano. Sie gilt als höchste Adhäsionsbahn der Alpen und wurde gemeinsam mit der Albula-Bahn 2008 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Mehr dazu habe ich in hier in meinem Blogbeitrag geschrieben.
Wohl keine andere Eisenbahnstrecke kann sich eines so ideal gelegenen Foto-Spots wie die Montebello-Kurve rühmen: Die Bahn beschreibt hier eine 180-Grad-Kurve und quert die Strasse. Das alles mit beindruckender Sicht auf den Morteratsch-Gletscher mit seinen vom Schnee glitzernden Bergen und dem Piz Bernina im Zentrum. Kein Wunder stoppen hier Schaulustige; warten gar auf den nächsten Zug. Oder suchen entlang der Bahnlinie hoch zur Passhöhe einen günstigen Fotostandort und hoffen auf das Auftauchen des nächsten «Bernina-Express».
1907 ratterte die Muottas-Muragl-Bahn das erste Mal auf den schon damals beliebten Aussichtsberg hoch. 2 201 Meter Distanz und an die 56 Prozent Neigung bezwingt die Bahn bis sie auf 2 456 m ü. M ihr Ziel erreicht.
Die Aussicht von Muottas Muragl ist die wohl schönste im ganzen Oberengadin. Der weite Blick richtet sich auf die fünf Oberengadiner Seen in ihrer ganzen Pracht, aneinander gereiht wie auf einer Perlenschnur. Höher bleibt der Blick an den eindrücklichen Gipfeln von Piz Nair und Piz Güglia und den Gletschern des Bernina-Massivs hängen. Der Aufstieg zur Segantini-Hütte und weiter zum Steinbock-Weg bleibt wegen des vereisten Pfads leider verwehrt. So begnüge ich mich mit dem Panorama-Wanderweg zur Alp Languard ob Pontresina, wo ich zur Rast einkehre.
Der vorletzte Ferientag verspricht endlich schönes und sonniges Herbstwetter. Zeit mein Projekt «Panorama der Bernina-Gruppe» anzugehen. Schon zeitig finde ich mich an der Talstation der Luftseilbahn ein, die 880 Meter Höhe überwinde ich in 6½ Minuten mit der Gondel. Oben, auf der Diavolezza trete ich in gleissendes Licht: Die Sonne strahlt auf das Bernina-Massiv und beleuchtet Schneefelder , Hängegletscher, die aufstrebenden Felspfeiler, den Pers- und weiter unten den Morteratsch-Gletscher. Die Berge sind – oh Wunder – frei von Wolken, nur am Horizont sind vereinzelt Schleierwolken zu sehen. Ideale Bedingungen für mein Vorhaben. Mit einer Ausnahme: Der Weg zum Munt Pers ist mit Schnee bedeckt und vereist, viel zu gefährlich; an einen Aufstieg ist nicht zu denken. Schade! Dessen Gipfel steht etwas zentraler im Bernina-Massiv; die Verzeichnung auf den Einzelbilder wäre etwas geringer. Ein guter Grund erneut her zu kommen und einen neuen Anlauf zu wagen. Also fotografiere ich einige hundert Meter abseits des Berghauses.
Der Piz Palü, einer der schönsten Gletscherberge
Der Piz Palü, 3 900 m ü. M. als Teil der Bernina-Gruppe, ist mein absoluter Lieblingsberg in den Alpen. Mehr als ein halbes Dutzend Mal war ich auf der Diavolezza und habe ihn bewundert. In jungen Jahren zweimal von Ost nach West überschritten. Dieses Mal nur fotografisch als Panorama-Bild aus 4 Bilder; die endgültige Bildgrösse beträgt so eindrückliche 19 000 x 5 900 Pixel.
Gut erkennbar der Piz Palü mit seinen drei Gipfeln und den vier nordseitig eingelagerten Hänge-Gletschern, die durch drei sich ebenmässig aus dem Pers-Gletscher erhebenden Pfeiler getrennt werden. Er fusst im 900 Meter tiefer gelegenen Pers-Gletscher, der sich weiter unten mit dem Morteratsch-Gletscher vereinigt. Nach Nordosten ist er durch die Fuorcla Pers-Palü vom Piz Cambrena (links) getrennt. Der Piz Palü gilt als einer der schönsten Gletscherberge überhaupt.
Der Piz Bernina, 4 048 m ü. M. gehört wie seine Nachbarn Piz Palü, Bellavista und Piz Morteratsch zur Bernina-Gruppe und ist deren Namens-Geber. Durch seine Dominanz bietet der Piz Bernina in allen Richtungen eine aussergewöhnliche Fernsicht und ist selbst von unzähligen Gipfeln aus sichtbar. Wegen des auffälligen Bianco-Grats ist er zudem leicht zu identifizieren. Ganz rechts zu erkennen der Piz Morteratsch, 3 751 m ü. M. Ihn habe ich vor vielen Jahren zusammen mit meiner Frau bestiegen.
Ein Kränzchen muss ich dem GF32-64mm winden. Auf eine, von mir aus Kartenmaterial errechnete Distanz von 4 100 Meter, sind zwei Bergsteiger etwas unterhalb des Piz Palü-Ostgipfels deutlich auszumachen. Ein deutlicher Beweis für die Leistungsfähigkeit dieses Objektivs.
Alle Aufnahmen entstanden mit meiner Fuji GFX 50s und den Objektiven GF32-64mmF4 und GF23mmF4, alle ab Stativ. Sowie der Fuji X100V und dem iPhone X. Bearbeitet mit Adobe Lightroom und Photoshop unter Verwendung von LUTs von Lutify.
Quellen:
Wikipedia für Höhenangaben.