Dieses Bild von einem Grizzly-Bär in einem meiner Beiträge im Fuji X Forum führte zu einer kleinen Kontroverse zur Sicherheit beim Fotografieren von Tieren in freier Wildbahn. Ein Forumsteilnehmer meinte dazu: «Respekt, dass das Bild nicht verwackelt ist. Es hätte ja auch eines dieser „Famous last pictures“ werden können».
Da ich beim Fotografieren immer meine Sicherheit in den Vordergrund stelle, fühlte ich mich herausgefordert. Schliesslich hatte ich mich schon im Vorfeld meiner Ferienreise in die Rocky Mountains mit der Materie auseinander gesetzt. Weiter habe ich mich nach der Ankunft von Park Rangern in Banff informieren und beraten lassen, den Bear Spray gekauft und ihn dessen Handhabung unterweisen lassen.
Was passiert wenn ein Bär auf Menschen trifft? Gemäss der Broschüre «Bears and People» von Parks Canada sind drei Verhaltensmuster denkbar:
- Der Bär ändert seinen Weg und verlässt den Raum.
- Der Bär reagiert aggressiv: Dies in der Regel nur, wenn er auf nahe Distanz überrascht wird und sich dadurch bedroht fühlt.
- Er ist durch wiederholte Begegnungen an Menschen gewöhnt und verliert sein natürliches, vorsichtiges Verhalten.
Meine folgerichtige Antwort im Forum war deshalb: «Aber nein doch, keine Sorge. Ich hänge durchaus am Leben und habe mich deshalb vorgängig von den Rangern informieren und in der Handhabung des Bear Sprays unterweisen lassen. Es ist so, dass der Mensch nicht in das Beuteschema des Grizzly passt und er deshalb bei einem Aufeinandertreffen auch nicht angreift. Mit zwei Ausnahmen: 1. Er wird überrascht. 2. Man gerät unabsichtlich zwischen einen Grizzly und seine Jungen. Das traf hier aber überhaupt nicht zu. Die Lichtung war für Mensch und Tier überschaubar, ich stand neben der offenen Wagentür und fotografierte ihn aufmerksam, aber ohne Stress. Den Bear Spray am Gürtel. Ich weiss es gibt immer wieder Unfälle, die lassen sich aber ausnahmslos den geschilderten zwei Szenarien zuordnen».
Die umgehende Reaktion darauf: «Na wunderbar. Das weisst du, das weiss der Ranger. Und jetzt weiss ich es auch. Viel wichtiger: Weiss es auch der Grizzly»?
Diese Antwort dokumentiert Nichtwissen oder Ignoranz des Schreibers zum Verhalten von Tieren beim Aufeinandertreffen mit anderen Lebewesen. Schliesslich formulierte der Schweizer Zoologe Heini Hediger das Konzept der Fluchtdistanz schon 1934. Damit meint er jenen Mindestabstand, den ein Tier zu einem anderen, potenziell bedrohlichen Lebewesen akzeptiert, ohne vor dem möglichen Angreifer zu fliehen. Und eng damit verbunden die Agressionsdistanz, also der Mindestabstand, den man wahren muss, um nicht angegriffen zu werden.
Flucht- bzw. Agressionsdistanz sind je nach Tierart und Habitat unterschiedlich und führen zu unterschiedlichen Handlungsanweisungen. Die oben erwähnte Broschüre von Parks Canada zum Beispiel schlägt Verhaltensregeln für vier Situationen vor:
- Wie das Zusammentreffen mit Bären vermeiden.
- Was tun wenn man einen Bären sichtet.
- Was tun wenn sich ein Bär nähert.
- Verhalten bei einem defensiven bzw. einem eher seltenen räuberischen Angriff.
Spezielle Anweisungen gibt es für Backpacker und Mountain Biker. Hier ist das Risiko bei einem Aufeinandertreffen am grössten. Beim Backpacker wegen der Lebensmittel die er mit sich führt und deren Düfte dei Nase eines hungrigen Bären aufspürt. Beim Biker das Überraschungsmoment beim unverhofftem Aufeinandertreffen.
Wie muss man die Zwischenfälle mit Bären einordnen? In den letzten zehn Jahren ereigneten sich in Europa – inklusive dem westlichen Teil von Russlands etwa ein Dutzend tödliche Unfälle mit Bären (Quelle: kora.ch). Nach meinen Internet-Recherchen ergeben auch die tödlichen Zusammenstösse in den Rocky Mountains ein ähnliches Bild. Die meisten Bärenunfälle werden vor allem in der Sensationspresse aufgebauscht und fallen deshalb auch besonders auf.
Zum Vergleich: von 1999-2008 gab es in der Schweiz alleine 21 tödliche Unfälle mit Kühen, sei es bei Angriffen auf Wanderer auf Alpwegen oder als Arbeitsunfälle in der Landwirtschaft. Ein zweiter Vergleich: Im Zeitraum 1990 – 2001 endeten in Deutschland, Österreich und der Schweiz total 20 Hundeattacken auf Menschen tödlich.
Leicht geht dabei aus europäischer Sicht vergessen, dass sich in weiten Teilen Kanadas Mensch und Tier den gleichen Lebensraum teilen müssen. Die kanadischen Rocky Mountains sind die Heimat sowohl von Schwarz– wie Braunbär (Grizzly). Als Besucher kann man hier überall einem Bären begegnen: An einer viel befahrenen Strasse, nahe eines Ortes, gar im Vorgarten, auf Wegstrecken als Wanderer, Backpacker oder Biker im Hinterland.
Die Einwohner respektieren diese Tiere, egal ob Schwarzbär oder Braunbär und haben sich darauf eingestellt. Dazu gehört auch, sie nicht zu füttern und vorallem den Zugang zu menschlichem Siedlungsabfall zu vermeiden. Dazu gehören die überall – auch in Städten wie Vancouver – sichtbaren «bärensicheren» Abfallkübel. Weiter Warnschilder und Informationsblätter an den Hotspots. Oder Warndienste die Begegnungen mit Bären aufzeichnen und lokale Zutrittssperren aussprechen. Die Webseite mit den «Bear updates» ist so präsent wie hierzulande das Lawinen-Bulletin. Das entbehrt nicht der Logik: In Regionen die vom Tourismus leben, wie zum Beispiel der Banff National Park mit jährlich 3-4 Millionen Besuchern, ist es essential Zusammenstösse zwischen Mensch und Tier (nicht nur Bären) zu minimieren. Oder die Provinz «British Columbia» mit 4,6 Millionen Einwohnern, in deren Wälder und an deren Seen und Flussläufen der Bär heimisch ist und seit Urzeiten in Koexistenz mit den Menschen lebt.
Es sind eben gerade diese fehlenden Rahmenbedingungen die eine Wiederansiedlung von Bären aus dem Trentino in den schweizerischen Kanton Graubünden oder im bayrischen Raum so erschweren. Siedlungsabfall lockt Bären in Täler und Dörfer und dort werden sie als Gefahr für jedermann, insbesondere für Kinder wahr genommen. Es gibt leider keine Kultur des Miteinanders; die Politik verhält sich zudem widersprüchlich. Solange dieser Zustand andauert wird es auch keine erfolgreiche Reintegration geben können. Und wir betrachten Bären weiterhin als das was sie nun wirklich nicht sind: Gefährliche Tiere.
Tja, ob der Bär das weiss? Ich denke schon!
Aufnahme Bär mit Canon 7D und EF 400 f/5,6L USM bei 1/1600 und Blende 8. Übrige Bilder mit Fuji X-E1 und Leica Elmarit 2,8/28 mm bzw. Super-Elmar 2,4/21 mm.
Interessant zu lesen:
Wikipedia Fluchtdistanz
Parks Canada Boschüre Bears and People unter «Safety Publications»
Banff National Park, Park Bear Updates
WWF Mai 2012, Hintergrundinformation Braunbär