Am heutigen Morgen waren wir mit Samantha für eine vierstündige Township-Tour in Cape Town verabredet. Kurz nach 9:00 Uhr begrüssten wir uns gegenseitig vor der Cedric`s Lodge und stiegen in Samantha`s neuen Microbus (VW) ein. Vermittelt hatte diese Tour Inge, eine der beiden Lodge-Inhaberinnen. Gespannt auf die Flats, wie die Unterkünfte der Ärmsten in Cape Town umgangssprachlich genannt werden, fuhren wir los.
Das Geschäftsmodell von Samantha ist clever angelegt: Zusammen mit Ihrem Partner hatte sie in «Langa» Kontakte geknüpft die den Zugang zu Wohnungen, einem Kindergarten und Strassen-Shops möglich machten. Im Gegenzug werden die Einnahmen nach einem festgelegten Schlüssel verteilt. Das verspricht mehr Individualität und bessere, gar intime Einsichten in das Alltagsleben der Flat-Bewohner. Nicht wie bei grösseren Tour-Anbietern, die mit Bussen lediglich standardisierte Routen durch die Townships abfahren. Durch die Einbindung der ortsansässigen Bewohner durch Samantha war zudem unsere Sicherheit beim Aussteigen aus dem Microbus und beim Besichtigen der Wohnhäuser und Shops gewährleistet. Nach Samantha geht es bei Ihren Township Touren in Cape Town nicht um eine Zurschaustellung der Armut. Es gibt einen klaren wirtschaftlichen Nutzen für die Betroffenen: Arbeitsplätze für die Helfer und damit ein kleines Einkommen. Der wichtigste Grund für einen Besuch aber sind die dort lebenden Menschen: Deren Herzlichkeit und deren Gastfreundschaft.
Als erstes erreichten wir nach kurzer Fahrt den «District Six». Das Gebiet wurde früher von ehemaligen Sklaven, Künstlern, Händlern und Arbeitern bewohnt. In den 1960-er Jahren wurden die Bewohner dieses ethnisch durchmischten Stadtteils auf Anordnung der Regierung zwangsweise umgesiedelt; die Häuser vollständig abgerissen und das Gebiet in ein Wohnviertel für «Weisse» umgewandelt. Die Vertreibung und Umsiedlung der Schwarzen und Coloureds (Farbige) gilt als eines der Musterbeispiele der rassistischen Politik des ehemaligen Apartheid-Regimes. Das Gebiet blieb über Jahrzehnte bis zum Ende des Apartheid-Politik grösstenteils unbebaut und weist heute noch viele unbebaute Parzellen an bester Lage auf.
«Guga Sthebe» für Kultur, Kunst und Empowerment
Nächster Halt war «Guga Sthebe» ein Zentrum für Kultur, Kunst und Empowerment in «Langa» der ältesten Township. In einem bunten, mit Mosaik verzierten Gebäude untergebracht, bietet es den Einwohnern von Langa eine Töpferei und Ausbildungsplätze im Kunstgewerbe an und hilft so deren wirtschaftliche Lage etwas zu verbessern. Es gibt darüber hinaus ein Gemeinschaftstheater, regelmässige Ausstellungen sowie Dienstleistungen rund um die Gründung von kleinen Unternehmen.
Township-Tour in Cape Town - Allgegenwärtiger Mangel
Vorbei ging es an einer auf offener Strasse betriebenen Schafskopf-Metzgerei, in das Herz von «Langa». In der Nähe des alten Kraftwerks führte uns Samantha in mehrere bewohnte Häuser und einen Kindergarten. Die Bewohner liessen uns an ihrem Leben teilhaben und zeigten uns mit einem freundlichen Lächeln ihren kärglichen Besitz. Obwohl die Wohnungen aus Backstein erbaut sind und über fliessendes Wasser und Strom verfügen sind die Räume klein, dunkel und vollgestopft. Ein einziger Raum kann hier gleichzeitig als Küche, Wohnraum, Schlafzimmer und Abstellraum dienen. Eine Möblierung im herkömmlichen Sinne gibt es nicht. Der überall sichtbare Mangel lässt sich nicht mit wenigen Worten beschreiben. Ich lasse hier stellvertretend die Schwarzweissbilder in meinem Foto-Album sprechen.
Auffällig, dass trotz der Armut viele der Behausungen über Kühlschrank und TV verfügen, wie auch Mobiles allgegenwärtig sind. Dies trotz der grassierenden Arbeitslosigkeit von über 60% und das Fehlen jeglicher Zukunftsperspektiven.
Keine Tische, keine Stühle, keine Spielsachen, nichts.
Gipfel der Trostlosigkeit ist der Kindergarten: Keine Tische, keine Stühle, keine Spielsachen, nichts. Die rund zwei Dutzend Kinder, Buben und Mädchen, sitzen tatenlos entlang den Wänden auf dem nackten Fussboden. Der an der Wand angeschlagene Tagesplan listet denn auch Windelwechsel, «potty time», Aufräumen und «free choice activity» als wiederkehrende Punkte auf. Statt Spiel und vorschulische Bildungsaktivitäten. Trotzdem wirken die Kinder nicht apathisch, sind uns gegenüber zugänglich, lächeln gar und scheinen sich über unseren Besuch zu freuen. Sie singen ein Lied und führen mit voller Hingabe einen eingeübten Tanz für uns auf. Umrunden meine Frau und mich ohne jede Scheu. Ein kleiner Bub in rotem Pullover scheint zum ersten in seinem jungen Leben einen Fotoapparat zu sehen, er zieht ausdauernd an meiner Hose und will die Kamera unbedingt befingern. Ich lasse ihn eine Weile gewähren.
Der Besuch von «Langa» war sehr eindrücklich, manchmal deprimierend aber von Samantha sehr gut und feinfühlig begleitet. Das Gesehene ordnete sie immer kompetent in den aktuellen Kontext ein und machte es so für uns begreifbar. Dass Samantha, als Schwarze wie Zehntausende in «Langa» wohnhaft ist, machte ihre Erklärungen überaus glaubhaft und authentisch.
Nach «Langa» ging die Fahrt durch «Bonteheuwel», einem Wohnviertel der Farbigen weiter nach «Gugulethu», eine weitere, grosse Township. Hier hielten wir bei einer Schule und einem Community-Gebäude der Gewerkschaft. Vorbei am «The Gugulethu Seven» Memorial ging es in nachdenklicher Stimmung zur Lodge zurück.
Es war uns zwei ein eindrückliches Ferienerlebnis wie kein anderes.
Alle Bilder mit Canon EOS und EF 28-135mm f/3.5-5.6 IS USM.
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