Ich warte schon eine Weile und starre angespannt nach Westen – endlich sehe ich ihn herannahen. Ein kurzes Signal mit dem Schiffshorn kündigt den Raddampfer «Stadt Zürich» an; Zeit für alle Boote die Fahrrinne schnellstens zu räumen. Minuten später ist er da: Donnerwetter, ist der Dampfer schnell. Unbeirrt und ohne Temporeduktion fährt die «Stadt Zürich» mit 18 km/h vom Zürichsee herkommend an mir vorbei in den engen Durchstich. Es ist genau 14:00 Uhr; der Dampfer hat den Anlegesteg in Rapperswil vor 25 Minuten verlassen und ist nun auf seiner Fahrt in den Obersee.
Es ist Sommer und ich stehe heuer zum wiederholten Mal am Durchstich, dem fünfhundert Meter langen Durchlass, der den Zürichsee mit dem Obersee verbindet und schaue dem Spektakel zu. Passagier- und Ledischiffe, unzählige Jachten, Motor- und kleinere Segelboote fahren hier jeden Tag zu Hunderten durch.
Der Steuermann hoch im Steuerhaus über dem Oberdeck, hinter seinem riesigen Holzrad versteckt, wirkt hoch konzentriert: Die knapp 30 Meter breite Fahrrinne verzeiht keine Fehler, eine minimale Abweichung vom Kurs und der Dampfer läuft in vollem Karacho auf Grund. Der Schiffsführer und die Bootsfrau stehen derweil scheinbar ganz entspannt auf der Brücke, den Blick nach vorn gerichtet.
Dreissig Sekunden später ist der Spuk vorbei und die «Stadt Zürich» unter der Eisenbahn- und Strassen-Brücke hindurch Richtung Obersee entschwunden.
Der Zürichsee ist der flächenmässig fünftgrösste Schweizer See. Die beiden Seeteile Zürich-Obersee und unterer Zürichsee sind durch die natürliche Landzunge von Hurden, sowie durch die Aufschüttung des Dammes bei Rapperswil abgetrennt. Gregor Hunger schreibt dazu in der NZZ: «Die sichelförmig nach Nordwesten gebogene untere Hälfte, der eigentliche Zürichsee, macht rund drei Viertel der gesamten Wasseroberfläche aus, der in Ost-West-Richtung gelegene restliche Teil wird Obersee genannt. Er gilt wegen der weitgehend natürlich gebliebenen Ufer mit zahlreichen vorgelagerten Inselchen für Wassersportler aller Art als das zwar weniger gut zugängliche, aber landschaftlich attraktivere Teilrevier». Die beiden Seeteile sind zwischen Pfäffikon und der Hurdener Halbinsel durch einen Dammdurchstich getrennt.
Der Durchstich wird aus einem künstlich geschaffenen Zufahrtskanal auf der Westseite und einer natürliche Einbuchtung des Sees auf der Ostseite gebildet.
Aufgrund der Durchfahrtshöhe von lediglich neun Metern bei den Brücken müssen Mast und Schornstein beim Anlaufen abgesenkt werden. Hier stehe ich also und schaue dem emsigen Treiben zu. Das Highlight – wie immer – die Durchfahrt der «Stadt Zürich» und deren Rückfahrt etwas mehr als zwei Stunden später.
Das nostalgische Dampfschiff «Stadt Zürich» aus der «belle epoque» ist das älteste Schiff und das Prunkstück der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft (ZSG). Die Old Lady mit ihrem originalgetreu erhaltenen Salon und dem verglasten Oberdeck fährt an Sommer-Wochenenden täglich einen Rundkurs von Zürich bis ans Ende des Seebeckens und zurück.
Die «Stadt Zürich» ist der ältere der beiden Raddampfer der ZSG und steht im 109. Betriebsjahr. Gebaut wurde der Raddampfer 1909 von Escher, Wyss & Cie., einer damals führenden Maschinenbaufirma in Zürich. Mit einer Länge von fast sechzig Metern und einer Breite von 13.5 Metern ist sie das dienstälteste Schiff der ZSG auf dem See. Ihre Dampfmaschine leistet 500 PS (368 KW) und bringt die «Stadt Zürich» mit maximal 27 km/h voran. Bei einer Besatzung von heute noch sechs Personen kann sie bis zu 750 Gäste transportieren.
Am 4. September 1912 beförderte die «Stadt Zürich» ihren bislang berühmtesten Gast, den deutschen Kaiser Wilhelm II. samt Gefolge und handverlesenen Gästen. Auf dem mit Blumen geschmückten Schiff herrschte eine strenge Kleiderordnung, serviert wurden Tee und deutsches Bier. Die Abendrundfahrt des Gastes feierten die umliegenden Gemeinden mit Feuerwerken, und noch Jahre später wurde die «Stadt Zürich» im Volksmund «Kaiserschiff» genannt. Anekdotisch die Auswechslung des Heizers Jakob Stampfer in letzter Minute vor der Abfahrt wegen dessen «kaiserfeindlichen» Gesinnung.
Alle Aufnahmen mit Fuji X-Pro2 und den Objektiven XF23 und XF16-55 mm.
Quellen:
NZZ – Der Zürichsee und das Geheimnis der Winde
Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft – Dampfschiff «Stadt Zürich»
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