Es war im letzten Frühling als ich mich Rahmen von Reisevorbereitungen mit der MS Polstjerna vertieft auseinander setzte. Durch Erfahrungen gewitzt suchte ich für meinen Kurzaufenthalt in Tromsø im Sommer nach einem Alternativprogramm bei Schlechtwetter. Und stiess auf die MS Polstjerna; «Der Polarstern» ist ein historisches Schiff, das in der Vergangenheit für die Jagd auf Robben im arktischen Raum genutzt wurde.
Die MS Polstjerna ist das am besten erhaltene Robbenjagd-Schiff Norwegens. Die gesamte Innenausstattung über und unter Deck ist original, ebenso wie die Segeltakelage und die noch vorhandene kleinen Jagdboote. Sie ist im Besitz des Universitätsmuseums Tromsø und wird seit 2004 in einem eigenen Gebäude in Tromsø ausgestellt.
Der elegante Bau aus Holz und Glas, in dem das Schiff klimatisch kontrolliert untergebracht ist, wurde vom Per Knudsen Arkitektkontor entworfen. Das Gebäude beherbergt auch temporäre Ausstellungen im Trockendock unter dem Schiff, zurzeit SNOWHOW. Sie erinnert an die Voraussetzungen, die Fridtjof Nansen und Roald Amundsen für den Erfolg ihrer Polarexpeditionen haben mussten.
Der älteste erhaltene Robbenfänger aus Tromsø
Die MS Polstjerna wurde im Frühjahr 1949 auf der Moen-Werft in der Nähe von Risør gebaut. Das Robbenjagd-Schiff fuhr 33 Jahre in der Fangsaison von März bis April in die arktische See zur Jagd auf Grönlandrobben und Klappmützen. Und brachte mehr als 97 000 Robbenfelle und 2000 Tonnen Blubber (Fettschicht von Robben) nach Hause. Vor allem aus den Gewässer bei der Mündung des Weissen Meeres in die Barentsee, in der Grönlandsee bei Jan Mayen (Vestisen) und bei Neufundland.
Als die Polstjerna 1949 fertig gestellt wurde, war sie 95 Fuss (29 Meter) lang, 22.5 Fuss (6.8 Meter) breit und wog 129 Bruttoregistertonnen. Der Rumpf war mit einer doppelten Schicht aus Erzkieferplanken verstärkt. Der Außenrumpf wurde zusätzlich mit Eiche und der südamerikanischen Holzart Greenhart beplankt.
Das Leben an Bord der MS Polstjerna war geprägt von harter Arbeit und Entbehrungen. Die 16 Mann Besatzung, davon 6 Offiziere lebte in beengten Verhältnissen und musste sich an die extremen Wetterbedingungen anpassen. Die Temperaturen konnten stark fallen, und die Besatzung war oft starken Winden und stürmischer See ausgesetzt. Die Arbeit war körperlich anstrengend, und die Männer mussten lange Stunden und Wochen auf See verbringen, nebst hohen Wellengang oft in Dunkelheit, Kälte und Eis.
Bei meiner Recherche entdeckte ich auch den Eintrag von Wolfgang K. von 2018 im Tripadvisor mit folgendem Zitat: «Robben-Abschlacht-Schiff: Mit Hilfe dieses Schiffes haben Männer im Eismeer Robben bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren gezogen, was für die Tiere einen jämmerlichen Todeskampf bedeutete. Die hier geäußerten Lobeshymnen über „sehr mutige Männer“ kann ich vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehen.».
Diese Aussage finde ich doch erstaunlich. Sie erfolgt im aktuellen und nicht im damaligen Kontext: Bis zum Beginn diese Jahrhunderts war die industrielle Robbenjagd im Eismeer weit verbreitet, insbesondere in Kanada und Norwegen. Die Jagd wurde als notwendige Praxis angesehen, um Robbenfelle für Modezwecke und andere Produkte zu gewinnen. Damals wurden Robbenjäger als mutige und harte Kerle dargestellt – die sie ja auch waren – die unter extremen Bedingungen arbeiteten. Das Tierwohl war dann zumal nebensächlich.
Den damaligen Kontext beachten!
Der heute Kontext hingegen ist ein völlig anderer: Das Bewusstsein für Tierschutz und Umweltschutz hat sich stark verändert und ethische Fragen stehen zunehmend im Vordergrund. Die Jagd auf Robben, insbesondere für ihre Felle, wird heute international kritisiert und ist in der EU und vielen Ländern verboten. Gegen Norwegen und Kanada wurde von der EU 2009 gar ein Embargo für Robbenprodukte verhängt. Im Mai 2015 wurde als Ergebnis die Jagd in Norwegen eingestellt. Während sie in Kanada streng reglementiert noch für Indigene erlaubt ist; die Zahl der Robbenjäger ist, Stand 2014 auf 400 gesunken. In der EU gilt die Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009.
Die Rezension zur MS Polstjerna könnte daher positiv als Stimme von Mitgefühl und moralischer Empörung verstanden werden. Sie reflektiert eine kritische Perspektive auf historische Praktiken, die heute als nicht ethisch angesehen werden. Es ist aber wichtig, solche Themen im Kontext ihrer Zeit zu betrachten und auch so darüber zu berichten. Der Erhalt der MS Polstjerna im Originalzustand ist eine der Möglichkeiten, über die Tötung von Robben zu reflektieren und Diskussionen über Tierschutz und ethische Jagdmethoden anzuregen.
Ich jedenfalls war vom Besuch der MS Polstjerna beeindruckt. Nicht vom Boot an sich – sondern davon mit welcher Art von Booten und technischer Ausrüstung und mit welchem Mut sich die Jäger im letzten Jahrhundert in die Arktis aufmachten und dort ihrem strengen Beruf nachgingen.
Nicht ohne Grund steht seit 1984 in Tromsø an prominenter Lage das beindruckende Fangstmonument (Artic Hunter) zum Gedenken an die Seemänner, Jäger und Fischer, die von hier aus zu ihren gefährlichen Fahrten aufbrachen. Von denen viele nie wiederkehrten.
Die Aufnahmen entstanden mit dem iPhone 13 im Apple RAW-Modus. Bearbeitet mit Adobe Lightroom und DXO Nik Collection.
Quellen:
Wikpedia
Aufliegende Texte auf der MS Polstjerna
EU Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009
Ergänzender Lesestoff:
Greenpace, Fragen und Antworten zur Robbenjagd in Kanada
Taz, Inuit wollen weiter Robben jagen
UiT Norges arktiske Universitet, Ishavets dronning (Königin des Arktischen Ozeans), Norwegisch