Mitten in der wilden Landschaft der Äusseren Hebriden ragen sie seit Jahrtausenden in den Himmel: Die Callanish Standing Stones. Geheimnisvoll, gewaltig und älter als Stonehenge – ein Ort, an dem Geschichte und Magie bis heute spürbar sind.
Dort, wo Loch Roag tief in die Westküste von Lewis ragt, verbreiten auf einem kleinen Hügel beim Dorf Callanish die berühmten Callanish Standing Stones ein rätselhaftes Flair.
Die Callanish Standing Stones – Schottlands uralte Steinkreise
An der Nordwestküste der Isle of Lewis, einer der grössten Inseln der Äusseren Hebriden im Westen Schottlands, stehen sie seit rund 5000 Jahren: die Callanish Standing Stones. Trotzig erheben sie sich in der kargen Landschaft, uralte Zeugen einer Zeit, in der die Kelten noch nicht in Europa angekommen waren. Oft werden sie irrtümlich mit den Gälen oder Kelten in Verbindung gebracht – doch diese Kulturen hatten mit der Anlage nichts zu tun. Das monumentale Bauwerk entstand lange vor ihrer Zeit.
Die Steine von Calanais – so ihr Schottisch-Gälischer Name – bestehend aus rund 50 Steinen, wurden in der späten Jungsteinzeit errichtet. Damit sind sie nicht nur älter als Stonehenge, sondern auch älter als die grossen Pyramiden in Ägypten. Damals war der Norden und Westen Schottlands ein Zentrum monumentaler Bauwerke. Ihre Ausstrahlung reichte weit über die Inseln hinaus und beeinflusste spätere Stätten im Süden.
Die Erbauer nutzten dafür 300 Millionen Jahre alten Lewisian-Gneis, eines der ältesten Gesteine der Erde. Mit einfachsten Mitteln – Steinwerkzeugen, Kraft und Geschick – wählten sie die Monolithe aus, transportierten sie über weite Strecken und stellten sie präzise auf.
Callanish I – das Herz der Anlage
Das bekannteste Ensemble trägt den Namen Callanish I. Es besteht aus einem Kreis aus dreizehn bis zu 3,5 Meter hohen, grob behauenen Steinen, die einen 4,7 Meter hohen Megalithen umgeben. Innerhalb des Kreises befinden sich die Überreste eines kleinen Kammergrabes. Von diesem Zentrum aus verlaufen Steinreihen in vier Richtungen, darunter eine auffällige „Allee“ nach Norden. In ihrer Gesamtheit wirkt die Anordnung wie ein gigantisches keltisches Kreuz.
Wozu diese monumentale Anlage diente, ist bis heute nicht geklärt. Eine gängige Theorie, gestützt durch archäologische Ausgrabungen, besagt, dass die Steine als Himmelskalender dienten. Ihre Ausrichtung könnte den Menschen der Jungsteinzeit geholfen haben, die Bewegungen von Sonne und Mond zu beobachten und den Jahreslauf zu bestimmen.
Andere Deutungen sehen in Callanish ein rituelles Zentrum – einen Ort, um den Göttern näher zu sein, Zeremonien zu feiern oder die Gemeinschaft zu stärken. Funde von Keramik und Werkzeugen belegen jedenfalls, dass hier eine hoch entwickelte Gesellschaft lebte, die Handel über das Meer betrieb und die Äusseren Hebriden zum Mittelpunkt einer grösseren Kultur machte.
Verloren im Lauf der Zeit – Verloren unter Torf
Über viele Jahrhunderte jedoch geriet Callanish in Vergessenheit. Etwa um 1000 v. Chr. wurde die Stätte verlassen. Klimatische Veränderungen führten zu kälteren, feuchteren Bedingungen. Torf begann sich auszubreiten und überwucherte die Anlage nach und nach, bis die Steine schliesslich vollständig unter der Vegetation verschwanden.
Jahrhundertelang schlummerten sie unter einer lebenden Torfdecke, wie sie weite Teile der Hebriden bedeckt. Nur wenige Spitzen ragten noch aus dem Boden, bis 1857 der Inselbesitzer Sir James Matheson Ausgrabungen veranlasste. Dabei wurden die Steine Stück für Stück freigelegt – zusammen mit den Resten einer Grabkammer.
Die eigentlichen wissenschaftlichen Ausgrabungen erfolgten jedoch erst viel später, zwischen 1980 und 1986. Dabei stiessen Forscher auf Strukturen, die unter der Oberfläche verborgen waren, und belegten so, dass die Umgebung landwirtschaftlich genutzt wurde. Callanish lag also nicht in einer isolierten Wildnis, sondern war Teil einer aktiven, kultivierten Landschaft.
Die Ausgrabungen bestätigten auch, dass die Anlage über mindestens ein Jahrtausend hinweg genutzt worden war, ehe sie aufgegeben wurde. Ihr genauer Zweck bleibt dennoch unklar – und gerade dieses Rätsel macht Callanish bis heute so faszinierend.
Zwei Besuche von Callanish I
Heute können Besucher frei zwischen den aufragenden Steinen wandeln und ihre Ausstrahlung unmittelbar erleben. Ich selbst habe mir die Zeit genommen, den Ort zweimal zu besuchen: einmal bei Tageslicht, und ein zweites Mal zum Sonnenaufgang. Beim Farbenspiel von Orange-Rot über Purpur zu tiefem Blau, bei weichem Licht und stimmungsvollen langen Schatten wirkte die Anlage beinahe überirdisch. Die Ausstrahlung verändert sich mit den Jahreszeiten. Im Sommer leuchtet die Mitternachtssonne über den Steinen, während sie im Winter von tanzenden Nordlichtern überstrahlt werden. Grün, violett und rot flammen dann die Lichter am Himmel auf und geben den Steinkreisen eine fast mystische Aura.
Zukunft von Callanish
Kein Wunder, dass Callanish immer mehr Besucher anzieht. Sogar Kreuzfahrtschiffe legen mittlerweile im Hafen von Stornoway an, um Reisende zu den Steinkreisen zu bringen. Um diesem wachsenden Interesse gerecht zu werden, wird das Besucherzentrum derzeit umfassend renoviert. Es bleibt bis 2026 geschlossen und soll dann mit verbesserten Einrichtungen und moderner Präsentation wiedereröffnet werden. Und wohl noch mehr Besucher bringen!
Mein persönliches Fazit
Die Callanish Standing Stones sind weit mehr als ein archäologisches Monument. Sie sind ein Tor in die Vergangenheit, ein Ort, an dem Geschichte, Natur und Magie ineinander fliessen. Wer zwischen diesen Zeitzeugen steht, spürt etwas von der Kraft, die schon die Menschen der Jungsteinzeit hierher zog. Und genau das macht sie zu einem der eindrucksvollsten Reiseziele Schottlands.
Die Aufnahmen entstanden mit meiner Fuji GFX100s II und dem Objektiv GF32-64mmF4. Bearbeitet mit Adobe Lightroom, DxO NIK Collection und Color Grading LUTs von Lutify.
Quellen:
Explore the Calanais Stones`History
PDF Download: Calanais Standing Stones – Statement of Significance





