Ich stehe in Whitehorse am Ufer – vor mir fliesst ruhig das Wasser des mächtigen, an dieser Stelle 140 Meter breiten Yukon River. In meinen Rücken, nur wenige Schritte entfernt, liegt der Liegeplatz der S.S. Klondike. Ich stelle mir das geschäftige Treiben mit Umladen von 270 Tonnen Blei- und Zink-Erz auf die Waggons der White Pass and Yukon Route Railway Company vor. Wie Stauer das Schiff mit Frachtgut, Lebensmittel, Post, Brennholz für den Kessel und vielem mehr beladen. Und wie als letztes die 75 Passagiere der 1. und 2. Klasse an Board gehen. In dunklem Gehrock und schwarzem Hut die Geschäftsleute; in langen, hellen Kleider die sie begleitenden Damen.
Ich stelle mir vor, wie die S.S. Klondike, das grösste Schiff und der Stolz der British Yukon Navigation Company, in Kürze erneut die anderthalb Tage dauernde Fahrt nach dem 805 Kilometer entfernten Dawson City antreten wird. Wie der Kapitän mit der Dampfpfeife das Abfahrtsignal gibt; wie der Heckraddampfer langsam von der Landungsbrücke ablegt. Wie er schnell Fahrt aufnimmt und den Yukon abwärts dampft und bald ausser Sicht gerät.
Eine Autohupe reisst mich aus meinen Gedanken: Kein Schiff liegt vor mir im Wasser, kein geschäftiges Treiben um mich herum. Ja, die Fahrten der Sternwheeler, wie die Heckraddampfer hierzulande genannt wurden, sind leider längst Geschichte. Längst Geschichte ist auch der hiesige Anlegesteg..
Ich stehe an diesem Montag-Vorabend tatsächlich auf historischenem Boden: Am Ufer des Yukon in Whitehorse, bei der einstigen Endstation der blühenden Flussschifffahrt und Beginn der White Pass & Yukon Railroad, die zum Hafen in Skagway fuhr. Deren Gebäude und Geleise dienen heute als kleines Museum, das die Erinnerung an goldene Zeiten hoch hält.
Ich bin eine Viertelstunde lang vom Best Western Gold Rush Inn kommend, bis hierher gelaufen und schaue über das Wasser zum anderen Ufer. Wenige Meter hinter mir liegt die S.S.Klondike; in einer kleinen parkähnlichen Anlage aufgebockt an ihrem letzten Liegeplatz. Prächtig restauriert und von Parks Canada als National Historic Site liebevoll gepflegt, erinnert sie an die glänzenden Zeiten von Klondike Goldrausch und blühender Flussschifffahrt auf dem Oberlauf des Yukons.
Durch die Fertigstellung der Schienenverbindung zwischen Skagway und Whitehorse im Jahre 1900 wurde der Oberlauf des Flusses als hauptsächliche Versorgungsverbindung zum neuen Yukon-Territorium gefestigt. Die British Yukon Navigation Company wurde im selben Jahr gegründet; sie beherrschte sehr bald die Schifffahrt auf dem Oberlauf des Flusses und verkehrte zwischen Whitehorse und Dawson City. Für die nächsten 50 Jahre stellte die in Whitehorse stationierte Flotte an Heckraddampfern das Rückgrat des Transportsystems dar, welches den Yukon mit der Aussenwelt verband. 1903 waren bereits 17 solcher Sternwheeler im täglichen Einsatz.
Die S.S. Klondike war der grösste Sternwheeler der Flotte. Sie wurde 1929 als Erzfrachter für eine Summe von 105 000 $ gebaut und konnte 50 % mehr Ladung als die bisherigen Heckraddampfer aufnehmen. Trotzdem verfügte sie über einen sehr geringen Tiefgang von nur einem Meter und damit über die Voraussetzung um den Yukon River zu befahren. Sie hatte eine Ladekapazität von 270 Tonnen Fracht. Im Juni 1936 lief das Schiff nördlich des «The Thirty Mile» Abschnitts des Yukon auf Grund. Die British Yukon Navigation Company barg Kessel, Antriebe und viele Armaturen des Schiffes. Im folgenden Winter erfolgte unter Verwendung der Originalaufbauten und Maschinen der Neubau. Im Frühjahr 1937 lief sie als S.S. Klondike II erneut vom Stapel.
Die S.S. Klondike II beförderte bis in die frühen 1950er Jahre Fracht. Doch der Bau des Klondike Highway von Whitehorse nach Dawson City und Mayo bedeutete das Ende der Flussfracht. Der Betrieb der Yukon Heckraddampfer wurde zunehmend unwirtschaftlich, sie wurden alle ausser Dienst gestellt. In einem Versuch, die Klondike II zu retten, wurde sie zu einem Kreuzfahrtschiff umgebaut. Bis 1955 wurde dieser letzte Yukon-River-Heckraddampfer noch regelmässig als Passagier- und Frachtschiff eingesetzt. Mangels zahlungskräftiger Passagiere musste schliesslich der Betrieb endgültig eingestellt werden und das Schiff wurde in Whitehorse zurückgelassen.
Hier lag sie einige Jahre auf der alten Werft und wurde schliesslich an Parks Canada als Spende übergeben. 1966 wurde die S.S. Klondike II von der Whitehorse-Werft an ihren heutigen Liegeplatz überführt und im ursprünglichen Erscheinungsbild von 1936-40 restauriert. Seit 1967 ist sie als National Historical Site öffentlich zugänglich und soll so an die Dampfschifffahrt auf dem oberen Yukon erinnern.
Ich besichtigte die S.S. Klondike ungefähr 70 Minuten lang. Leider begann es mit der Zeit zu nieseln, sodass der Aufstieg zum Bootsdeck gesperrt wurde. Und damit auch der Zugang zum Ruderhaus auf dem Texasdeck, von der Mannschaft auch «Affeninsel» genannt. Frachtdeck, Sonnendeck und Saloondeck boten mir aber mehr als genügend lehrreiche Einsichten. Alle Aufnahmen mit Fuji X-Pro2 und dem Objektiv XF16-55 mm.
Quellen:
Parks Canada, Faltblatt «S.S. Klondike, selbstgeführter Rundgang»
Yukon News, «ss klondike the yukon river icon part 1». Das ist auch die Quelle des S/W-Bildes
Yukon News, «Saving the ss Klondike»
“Ich habe einen Jugendabenteuerroman mit dem Titel ‘Das Geheimnis am Silberfelsen’ geschrieben, der während der letzten Fahrt der SS Klondike von Whitehorse nach Dawson spielt. In dem Roman erlebt ein zwölfjähriger Junge im Jahr 1955 die Reise von Whitehorse über den Lake Laberge, flussabwärts nach Carmacks, durch die gefürchteten Fire Finger Rapids und schließlich in den damals noch lebhaften Yukon River Ort Fort Selkirk.”
Eine sehr schöne Idee; ich hoffe das Buch hat einen gebührenden Erfolg.
Freundliche Grüsse Walter